Haben SPD, Grüne und Union Angst vor einer Urwahl des Kanzlerkandidaten?

Vier Parteien haben aus heutiger Sicht Chancen, nach der Bundestagswahl im September 2020 das Amt des Bundeskanzler besetzen zu können. Keine dieser vier Parteien beabsichtig Stand heute, die Kandidaten für dieses Amt per Urwahl unter allen Parteimitgliedern wählen lassen zu wollen, eine hat schon Fakten geschaffen.

SPD – Vorschlag, Beschluss und Pressemitteilung an einem Tag

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans haben am 10. August 2020 – zu einem damals überraschenden Zeitpunkt – mitgeteilt, dass sie an diesem Tage dem Präsidium und Parteivorstand der SPD vorgeschlagen haben, dass Olaf Scholz Kanzlerkandidat der SPD sein soll. Präsidium und Parteivorstand haben dem noch am selben Tag einstimmig zugestimmt.(1)

Bei Bündnis90/Die Grünen schlägt der Bundesvorstand einen Kandidaten vor

Die Grünen sind seit längerem bei Umfragen zur Bundestagswahl die zweitstärkste Kraft und haben mitgeteilt, dass der Bundesvorstand einen Kandidaten vorschlagen wird. Die Bundesdelegiertenversammlung soll dann über diesen einen Kandidaten abstimmen. 6 Mitglieder haben das Vorschlagsrecht, 820 entscheiden – von über 96.000 Mitgliedern. Demokratie geht anders.

Markus Söder fordert Volksentscheide im Bund – aber bislang keine Urwahl des Kanzlerkandidaten

Wohl keine Partei fordert so intensiv direkte Mitbestimmungsrechte der Bürger wie die CSU. Aber, es gibt keine erkennbaren Bestrebungen in der CSU, dass der Kandidat für das Kanzleramt von allen Mitgliedern der Partei gewählt wird. Und das, obwohl die CSU aktuell mit der Situation konfrontiert ist, dass ein Mitglied ihrer Partei realistische Chancen hat, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden.

Mindestens drei Mitglieder der CDU haben bereits erkennen lassen, dass sie Bundeskanzler werden wollen

Die CDU hat in einem beispielhaften Verfahren einen neuen Vorsitzenden gewählt. Im Zuge dieses innerparteilichen Wahlverfahrens haben alle drei Kandidaten für das Amt des Parteivorsitzes erkennen lassen, dass sie Bundeskanzler werden wollen. Einer von ihnen wurde zum Vorsitzenden der Partei gewählt, aber wohlgemerkt nicht zum Kanzlerkandidaten der Partei.

Vorbild USA

Die USA wurden 2020 wiederholt aufgrund von Defiziten der Verfassung und des Wahlrechts kritisiert. Aber, in den USA finden in allen Staaten Vorwahlen statt, in einigen Staaten können sogar alle Wähler abstimmen, wer Präsidentschaftskandidat der Parteien werden soll.

Demokratie bedeutet Auswahl und Mitsprache

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat ca. 420.000 Mitglieder. 36 davon haben den Kanzlerkandidaten gewählt. Dieser wurde von zwei Vorsitzenden vorgeschlagen. Es gab keine Gegenkandidaten. Das Ergebnis war einstimmig. Das kann man beim besten Willen nicht als demokratischen Prozess bezeichnen.

Bei der SPD gibt es mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Mitglieder, die sich bei einer Urwahl um das Amt des Kanzlerkandidaten beworben hätten. Bei den Grünen würde sich womöglich neben Herrn Habeck, Frau Baerbock auch Herr Özdemir und weitere bewerben. Bei der CDU wären Bewerbungen von Herrn Merz, Herrn Laschet, Herrn Röttgen, sowie vielleicht von Herrn Altmeier oder Herrn Braun zu erwarten.

Das Amt des Bundeskanzlers ist das dritthöchste Amt, das es in der Bundesrepublik Deutschland zu besetzen gibt. Es ist dem Amt nicht angemessen,

  • wenn eine Partei mit mehreren hunderttausend Mitgliedern nur einen einzigen Kandidaten vorschlägt,
  • wenn am Tag des Vorschlages darüber abgestimmt wird,
  • wenn weniger als ein Zehntausendstel der Mitglieder über den Vorschlag abstimmen,
  • wenn diese Abstimmung einstimmig erfolgt.

Standard Kandidatenkür per Urwahl

Jede demokratische Partei sollte ihre Spitzenkandidaten in einem demokratischen Verfahren bestimmen:

  1. Angebot zur Kandidatur
    Jede Mitglied soll eingeladen sein, zu kandidieren oder Kandidaten vorzuschlagen. Es ist nicht demokratisch, wenn nur Parteivorsitzende sich selbst ins Spiel bringen. Sie sind als Parteivorsitzende gewählt, und nur dafür.
  2. Festgelegter Zeitraum
    Diese Meldungen sollten zu einem stets festen Zeitraum eingehen, z.B. bis fünf Monate vor der Wahl, in diesem Jahr z.B. bis zum 26. April 2021. Damit würden sich diese endlosen sinnlosen Fragen von Journalisten an potentielle Kandidaten reduzieren, ob sie denn kandidieren oder nicht.
  3. Pateiinterner Wahlkampf
    Anschließend an die Mitteilung der Kandidatur sollte eine mindestens zwei-, eher vierwöchige Phase von Veranstaltungen durchgeführt werden, so dass die Kandidaten sich und ihr Programm den Parteimitgliedern vorstellen können.
  4. Urwahl
    Alle Mitglieder einer Partei sollten den Spitzenkandidaten der Partei wählen dürfen. Das Wahlverfahren der CDU zum Vorsitzenden der Partei könnte dafür als Beispiel dienen. Nur ein Kandidat, der sich innerhalb einer Partei durchsetzen konnte, hinter dem die Mehrheit der Mitglieder der Partei steht, ist ein demokratisch legitimierter Kandidat. Hinterzimmer-Entscheidungen sind der Parteien, dem Amt und der Verfassung unwürdig. Hinterzimmer-Entscheidungen sind der Parteien, dem Amt und der Verfassung unwürdig.
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